Moin zusammen,
letzten Freitag ergab sich die günstige Gelegenheit für einen Freund, seinen Stiefvater und mich, einen Mercedes S 500 4MATIC in der Langversion für einen Tag als Leihwagen zu fahren zu dürfen. Ich bin kein großer Fan neuerer Autos, aber natürlich technisch interessiert, und einfach mal die absolute Oberklasse von Mercedes erfahren zu dürfen, das Angebot nehme ich natürlich dankend an.
Zunächst einmal wussten wir nicht, um was für ein Fahrzeug es sich genau handeln würde. Insofern waren wir angenehm überrascht, dass es sich um die Langversion in gefühlter Vollausstattung handelt. Der Wagen stach optisch bereits durch seine Breite und Länge aus der Reihe an geparkten Autos hervor und ist einfach ein Schiff, gerade in der fast 5,30m-langen Langversion.


Das erste Stück der Fahrt habe ich es mir hinten rechts bequem gemacht. Das erste was mir aufgefallen ist, war die Memory-Option für die Fondsitze. Ich schaue für mich ja immer mal wieder nach Angeboten für den W220 und stoße öfter mal auf Langversionen (V220), sodass ich um die elektrische Verstellung der hinteren Sitze weiß. Dass in der Zwischenzeit dort auch die Memory-Funktion Einzug erhalten hat, das war mir neu. Sitzheizung und -belüftung sowie die Möglichkeit, den Beifahrersitz vor einem zu verstellen (bis hin zu vollem nach vorne klappen der Rückenlehne, um hinten den Liegesitz zu entfalten), sind ebenfalls vorhanden. Der Sitz selbst ist bequem wie Sau - wie sollte es auch anders sein? - und man fühlt sich jederzeit gut aufgehoben. Nettes, bequemes Gimmick; die textile Ummantelung des Sicherheitsgurtes auf den Fondsitzen. Ganz besonders gefallen hat mir auf allen Sitzen das weiche Kopfkissen, das auf der Kopfstütze angebracht ist. Einfach bequem. Sonnenrollos in den Seitenscheiben sowie das Rollo vor dem Panoramadach sorgen dafür, dass man den hinteren Fahrgastraum gut abdunkeln kann. Schlafen dürfte kein Problem sein.
Mehr physische Schalter wären aus meiner Sicht auf jeden Fall wünschenswert, wenngleich wenigstens die Schaltflächen in den Türen erhalten geblieben sind. Vieles im Innenraum ist ein Fingerabdruckmagnet. Der Touchscreen in der Mittelkonsole selbst natürlich am meisten, aber die Abdeckung des mittleren Ablagefachs sowie die Schalter an den Türverkleidungen sorgen mit Klavierlack fürs gleiche Bild. Nicht so mein Fall und letztere lassen auch den taktilen Druckpunkt der normalen Einzelknöpfe aus älteren Fahrzeugen vermissen.
An den Rückenlehnen angebracht befinden sich links und rechts die MBUX-Tablets für den Fond, mit denen man die eigenen Massagesitze sowie das Infotainmentsystem separat steuern kann. Vorne könnte so Radio gehört werden während die hinteren Insassen mit ihren Bluetooth-Kopfhörern beispielsweise Musik vom Handy hören. Verzeiht bitte die spärlichen Fotos. Dieser Schrieb hier war nicht Sinn der ganzen Sache, die Idee kam mir erst hinterher. 

Im Stadtverkehr gleitet man nur so dahin, egal auf welchem Platz man sitzt. Der 3L-Reihensechszylinder mit Elektrounterstützung als Mild-Hybrid hält sich sehr zurück, klingt aber doch angenehm kernig. Die Hinterradlenkung sorgt dafür, dass man die Länge des Fahrzeugs beim Rangieren gar nicht so tragisch sieht. Der Wendekreis wird deutlich verringert. Die Neungang-Wandlerautomatik schaltet praktisch unmerklich, braucht mir im Comfort-Modus aber ein wenig zu lang fürs Anfahren aus dem Stand. Eine kleine Gedenksekunde, um das Anfahren noch weicher, noch komfortabler zu gestalten, nehme ich an. Lässt sich per Individual-Fahrprogramm ja problemlos anpassen, kein Thema. Die Bremse ist soweit Klasse. Gut dosierbar und sehr angenehm abgestimmt, jeder Stopp an einer Ampel war sehr weich, wenn man das so sagen kann. Auch beim stärkeren Bremsen flößt einem das Auto jederzeit Vertrauen ein, das ist aber auch nötig bei einem Auto, das mehr als 2 Tonnen wiegt und bei 250 Stundenkilometern abregelt, die er übrigens mühelos und nach nicht allzu langer Zeit erreicht. Der Verkehr hat keine längeren Fahrten bei Höchstgeschwindigkeit zugelassen, aber wir haben alle gemerkt: mit dem Auto kann man - wenn der Verkehr es hergibt - problemlos bei 200km/h reisen. Der Wagen liegt satt auf der Straße, die E Active Body Control filtert fahrwerksseitig heraus, was irgendwie geht, während man sich immer noch recht komfortabel mit den anderen Fahrgästen unterhalten kann.


Assistenzsysteme auf dem Stand der Technik sind natürlich auch an Bord, wenngleich ich selbst nicht viel davon genutzt habe. Vom Beifahrersitz aus hat der Autopilot (oder wie Mercedes die Nummer aktuell betitelt) aber ganz solide gewirkt. Angenehmer als im 2018er Volvo S90, deutlicher smoother. Die Kamerasysteme stellen beim Einparken oder bei entsprechender Auswahl im Infotainmentsystem die Umgebung angenehm hochauflösend da. Schönes Extra; wenn erkannt wird, dass man an einer Ampel steht, wird eine Ampelkameraperspektive angezeigt. Teilweise erspart einem das das eine oder andere Halsverrenken, um die Ampel im Blick zu halten. Das Head-up-Display drängt sich nicht auf und tut genau das, was es soll, nämlich das Wesentliche direkt ins Sichtfeld des Fahrers zu projizieren. Mithilfe Augmented Reality werden über das HUD Navigationshinweise auf die Straße gespiegelt. Die 3D-Darstellung der Armaturen brauche ich persönlich nun gar nicht. Ist ein netter visueller Effekt, aber es drängt sich doch etwas sehr auf und ich sehe keinen praktischen Nutzen aus dieser Tiefendarstellung. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass einem teilweise sogar etwas schlecht wird, wenn man sich auf den Effekt konzentriert.

Soweit jetzt soweit dazu, was mir auf die Schnelle einfällt. Es war auf jeden Fall eine spannende, interessante und natürlich komfortable Erfahrung. Der Motor im 500er ist kein V8 mehr, aber 435PS sind schlecht wegzudiskutieren. Dass der Wagen sich nicht übermotorisiert anfühlt, mag zum einen an der Abstimmung des Fahrzeugs liegen, durch die einfach alles (auch die Gasannahme) weicher und komfortabler wirkt, zum anderen aber natürlich auch daran, dass man keine C-Klasse fährt. Die Masse muss erst mal in Bewegung gebracht werden. Dennoch reicht die Leistung wirklich dicke. Zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, dass der aufgeladene Sechszylinder schwach auf der Brust sei. Das ist aber auch nicht zu erwarten bei dem Drehmoment von 520NM, das unter 2000 Umdrehungen pro Minute anliegt.
Ich muss aber auch sagen, dass ich danach nicht traurig war, wieder in meinem W203 zu sitzen, so merkwürdig sich das anhört. Sicher, der V223 ist eine andere Welt gewesen, aber zum einen kostet der auch mal eben rund 175.000€ im Gegensatz zu meinem Wagen und zum anderen zeigt es mir, dass so moderne Autos trotz der vielen und auch häufig hilfreichen Features tatsächlich nicht mein Geschmack sind. Für uns war der Wagen technisch teilweise faszinierend (bin ja selbst auch technikaffin) und eine ziemlich runde Angelegenheit, der man auch abnimmt, extrem hohen Ansprüchen der Kundschaft zu genügen. Ich habe ein wenig die Befürchtung, dass das hochgradig integrierte Infotainmentsystem nicht dazu beiträgt, dass das Auto auch in 15 oder 20 Jahren noch die gleiche gute Figur macht, wenn es um die verfügbaren Funktionen geht - insbesondere in Bezug auf die Connected Services, für die Mercedes die Infrastruktur aufrecht erhalten müsste. Ich freue mich aber, wenn sich dann herausstellen sollte, dass ich mich da verschätzt habe, und Mercedes hier auch in 15 Jahren noch vorbildlichen Support leistet.
So oder so: meine Mitfahrer waren hellauf begeistert und gerade wenn man nur einen Leasingzeitraum betrachtet, kann ich das auch grundsätzlich nachvollziehen. Ich find den Wagen auch von vorne bis hinten sehr gut und beeindruckend, würde ihn aber selbst nicht haben wollen. Die 220er-Baureihe ist dann doch deutlich eher meins.
Liebe Grüße
Jonas